„Nicht Fisch, nicht Fleisch“, ist rein bildlich zwar nicht gerade die passende Redewendung, aber so ein unbestimmtes Gefühl der Ratlosigkeit befällt wohl viele Terrarianer, wenn es um Trugnattern geht. Denn einerseits gelten fast alle der so gelabelten Schlangen als „harmlos“, aber so ganz genau weiß man es dann doch irgendwie nicht. Andererseits nämlich kennt auch jeder die paar Ausnahmen, bei denen die Trug- regelmäßig als – wiederum bildlich gesprochen, nicht taxonomisch – Giftnatter agiert und sogar Super-Promis der Herpetologenszene dahingerafft hat, wie etwa den berühmten Frankfurter Forscher Robert Mertens. Und ob die als „harmlos“ geltenden Trugnattern wirklich alle so harmlos sind? Auch darüber gibt es meist eher dräuende Gerüchte als klare Statements. Und schließlich: Schon der Begriff „Trugnatter“ selbst löst bis heute eine gewisse Verwirrung aus. Die Älteren und Mittelalten von uns sind noch aufgewachsen mit der Vorstellung, es handle sich um eine klar definierte taxonomische Gruppe, erkennbar an den sogenannten opisthoglyphen, also hinten im Kiefer stehenden Giftzähnen. Aber ach, es ist eben mal wieder alles nicht so einfach. Seit wir wissen, dass selbst harmloseste Strumpfbandnattern auch Giftdrüsen haben und opisthoglyphe Zähne mal so, mal so auftreten und vor allem kein monophyletisches, also nur in einer Verwandtschaftsgruppe auftretendes, klar abgrenzendes Merkmal darstellen, herrscht allgemeine Unsicherheit bis Verwirrung.
Grund genug also, mal einen wirklichen Profi alles schön sortieren zu lassen. Scott Weinstein ist ein solcher Fachmann, und im Titelthema von REPTILIA Nr. 173 zeichnet er das differenzierte Bild, wie es sich uns heute eben nach Stand der Kenntnis über Trugnattern bietet. Ohne Hysterie, aber auch ohne Verharmlosung. Denn so ist es eben: Auch in der Schlangenwelt gibt es mehr als Fisch oder Fleisch. Willkommen in der Welt der pflanzlichen Bratlinge! Und das ist doch auch schön – einmal mehr zeigt sich unser Interessensgebiet damit noch facettenreicher und vielseitiger. Neben den Grundkenntnissen zur Trugnatter an sich geht Weinstein aber auch in die Praxis und beleuchtet die verschiedenen für die Terraristik besonders relevanten Trugnattern. Damit hier künftig hoffentlich für alle etwas mehr Klarheit herrscht.
Mit Trugnattern regelmäßig zu tun hat übrigens auch die australische Schlangenfängerin Julia Baker. Zum Start der zweiten Staffel der Doku-Serie mit ihr beim Sender DMAX konnte ich kurz vor Redaktionsschluss noch ein Interview mit der aus Deutschland stammenden Australierin führen, das so munter und interessant verlaufen ist, dass es einerseits schon an sich ein bisschen wie ein Editorial zu unserem Heft daherkommt, andererseits aber eben auch so interessant war, dass wir es nicht zu sehr eindampfen mochten – weshalb wir die REPTILIA einfach direkt damit beginnen und damit die gewohnte Heftstruktur abändern, so wie wir es schon häufiger zu besonderen Anlässen gemacht haben.
Aber dank reptilia.de, unserem neu gestarteten großen Terraristikportal, können wir diese warmen Begrüßungsworte hier trotzdem veröffentlichen. Dieses Online-Editorial allein ist vielleicht nicht der ultimative Grund, die Plus-Erweiterung zum Abo zu buchen, aber doch ein hübscher Hinweis auf die vielen Vorteile, die es bietet: Für einen wirklich geringen jährlichen Mehrpreis haben Sie als REPTILIA-plus-Abonnent nicht nur eine Reihe von Zusatzinhalten und alle aktuellen Heftbeiträge auch einfach auf dem Bildschirm ihrer Wahl, sondern vollen Zugriff auf die geschlagenen 172 REPTILIA-Hefte, die schon zuvor erschienen sind. Eine praktisch unendliche Fundgrube aus fast 30 Jahren Terraristik.
Das ist schon wirklich eine lange Zeitspanne – aber einige von uns sind noch länger dabei, so etwa unsere Autoren Hans-Peter Berghof und Mario Herz. Beide blicken auf jahrzehntelange terraristische Erfahrungen zurück, beide stellen uns in dieser Ausgabe zwei außergewöhnliche Projekte daraus vor, wenn auch in einem sehr unterschiedlichen Status: Schildkrötenexperte Mario Herz zieht Bilanz aus seiner langjährigen Haltung, Zucht und Feldforschung rund um die Kaspische Bachschildkröte, Mauremys caspica caspica, während Taggecko-Spezialist Hans-Peter Berghof mit seinen Kollegen von der IG Phelsuma und dem Tierpark Chemnitz ein sehr interessantes neues Vorhaben frisch gestartet hat, nämlich die „Freihaltung“ und den Aufbau einer eigenen „Chemnitzer Population“ einer bedrohten Phelsume in der Tropenhalle des ohnehin empfehlenswerten dortigen Zoos. Auch im Sinne des Artenschutzes ein tolles Leuchtturmprojekt im Bereich ex situ, also in menschlicher Obhut gehaltener Tiere. Über Schutzmaßnahmen im Lebensraum, also in situ, und die Verknüpfungsmöglichkeiten mit der Terraristik-Community berichtet dagegen Adán Villagarcia aus Peru. Sein üppig bebilderter Beitrag ist auch deshalb schon spannend, weil eine noch unbeschriebener Greiffrosch-Art darin erstmals sozusagen die Weltbühne betritt.
Und wer noch Anregungen für Herping-Touren im jetzt anstehenden Sommer sucht – Dalmatien liegt fast vor der Haustür und ist ein fantastisches Reiseziel mit reichlich Amphibien- und Reptilienarten, wie Claudia und Andreas Schäberle uns zeigen.
Massenhaft spannende Lektüre also wieder mit der neuen REPTILIA! Ob Sie sich das Heft nun gedruckt als Heft oder hier im Internet zu Gemüte führen – ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Freude und Erkenntnisgewinn dabei. Und natürlich einen schönen Sommer!
