Editorial 165

26. Januar 2024

Warum der Blauzungenskink eine blaue Zunge hat? Na, deshalb: „Ein alter Mann war sehr krank und bat seinen Freund, eine Echse, zum Meer zu laufen, um schleunigst Tinte vom Tintenfisch zu holen, die er benötigte, um von seiner schlimmen Krankheit geheilt zu werden. Nachdem die Echse am Meer angelangt war, rief sie den Tintenfisch und bat ihn, ihr für den kranken Freund ein wenig Tinte zu überlassen. Der Tintenfisch war spendabel und hielt ihr seine Blase voller Tinte hin. In der Eile hatte die Echse jedoch vergessen, ein Gefäß dafür mitzubringen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Tinte im Maul zu transportieren. Sie rannte so schnell zurück, dass sich ihre Beine fast abwetzten. Gerade noch rechtzeitig kam sie zurück, um den Freund mit der Tinte vor dessen sicherem Tod zu retten. Seitdem haben diese Skinke eine blaue Zunge und sehr, sehr kurze Beine.“

So gibt der Skinkexperte Andree Hauschild in dem im Natur und Tier – Verlag erschienenen Standardwerk über die Gattung Tiliqua, das von Hauschild selbst sowie Klaus Henle, Robert Hitz, Glenn Shea und mir herausgegeben wurde, eine alte Aborigines- Erzählung wieder. Und diese Erklärung klingt ja nun auch wirklich plausibel. In die vielen merkwürdigen Tiere Australiens reihen sich diese Echsen mit ihren Eigenheiten nahtlos ein: der wurstförmige Körper mit den glatten, glänzenden Schuppen und den in den Proportionen viel zu kurz wirkenden Beinen, und natürlich die dicke, fleischige, leuchtend blaue Zunge. Erschreckt man diese ansonsten völlig harmlosen und aufgrund ihrer Stummelbeinchen auch eher unbeholfenen, langsamen Skinke, bekommt man die knallige Zunge aus dem weit aufgerissenen Maul entgegengestreckt – ein überraschender Schock mit Abschreckungswirkung. Was die biologische, etwas weniger romantische Erklärung für die auffällige Färbung ist.

Eine andere Besonderheit der Blauzungenskinke erklärt die Geschichte allerdings nicht. Diese Echsen gehören nämlich zu den wenigen echt lebendgebärenden Reptilien. Das heißt, die Embryos wachsen nicht wie bei den häufigeren, sogenannten eilebendgebärenden Arten zwar im Mutterleib, aber dort in einem separaten Ei heran, aus dem die Jungtiere dann bei der Geburt schlüpfen, sondern sie sind, vergleichbar mit Säugetieren, direkt mit dem mütterlichen Metabolismus verbunden und werden von ihm ernährt. Eine seltene Ausnahme in „unserer“ Tiergruppe.

Auf jeden Fall freut es mich sehr, dass wir diesen außergewöhnlichen Skinken, die zwar quantitativ nie im Brennpunkt der Terraristik standen, dafür aber seit Jahrzehnten erfolgreich gehalten und nachgezüchtet werden, endlich ein Titelthema der REPTILIA widmen. Erstaunlich eigentlich, dass es dafür bis zum sagenhaften 29. Jahrgang unserer Zeitschrift gedauert hat. Einer, der uns in dieser langen Zeit von Anfang an begleitete, ist Paul Gaßner. Er gehört seit der ersten Ausgabe der REPTILIA zu unserem Fachbeirat und hat uns mit seinem guten Namen sehr geholfen, unser Magazin überhaupt erst mal zu etablieren. Dass er bis heute dabeigeblieben ist, spricht für seine Beständigkeit und Zuverlässigkeit – beides zeigt er auch in der Reptilienhaltung, und so kann er in diesem Titelthema über stolze 30 Jahre Haltung und Zucht von Blauzungenskinken berichten.

Und noch ein anderer Artikel macht diese Ausgabe zu etwas ganz Besonderem: Kurz vor seinem Tod hatte die Herper-Legende Karl-Heinz Switak uns noch einen kleinen Artikel über seine langjährigen Beobachtungen in Australien an den ebenfalls zu Tiliqua zählenden Tannenzapfenechsen geschickt, wie es sich gehört ganz old school mit Dias. Leider ist Karl-Heinz 2021 an Corona verstorben. Der Artikel dürfte damit sein letzter Beitrag zur Herpetologie gewesen sein, der er ein langes Leben lang über Jahrzehnte stets treu geblieben war. Für viele ist Karl-Heinz zu einer echten Legende geworden. Wir freuen uns, mit diesem kleinen Beitrag noch einmal die Erinnerung an diesen immer etwas grantelnden, aber guten Freund zu wecken. Auch sonst gibt es in dieser ersten Ausgabe des neuen Jahres wieder viel zu entdecken. Maren Gaulke gehört ebenfalls zu unseren langjährigen Beiräten; sie erfreut uns seit einem Vierteljahrhundert immer wieder mit Berichten meist aus ihrer geliebten Zweitheimat, den Philippinen – diesmal über eine spektakuläre Möglichkeit, dort mit Meeresschildkröten zu schnorcheln. Das Vater-und-Sohn-Gespann Frank und Timon Glaw berichtet über eine eindrucksvolle Heuschrecke aus Neuguinea, und Philipp Haag hat sich eines alten Klassikers neu angenommen, nämlich der Sägerückenagame (Calotes calotes). Der Pfarrer und Naturfotograf Ole Dost schließlich nimmt Sie mit zu einer Weihnachtsandacht der besonderen Art – in den Dschungel von Kolumbien. Egal, ob man nur an die Evolution glaubt oder auch einen Schöpfer dahinter: Die Artenvielfalt und Schönheit dieser Region machen jeden ehrfürchtig.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude mit der Lektüre der REPTILIA!

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