Editorial 163

29. September 2023

Chamäleons gehören ohne Zweifel zu den charismatischsten Reptilien überhaupt, und in der europäischen Herpetofauna nehmen sie als besonders „exotische“ Vertreter eine Sonderrolle ein. Womöglich verdanken sie ihr Vorkommen auf unserem Kontinent letztlich sogar nur der Faszination, die die hochspezialisierten Baumbewohner auf Menschen schon immer ausgeübt haben. Zwar liegen die Ursprünge der Besiedlung von Europa durch die bei uns Europäisches Chamäleon geheißenen Echsen im Dunklen, aber vieles spricht dafür, dass die Art in antiken Zeiten vom Menschen mitgebracht wurde – vermutlich schlicht aus eben Faszination. Damit war das Europäische Chamäleon wohl eines der ersten „Terrarientiere“ überhaupt. Ähnliches gilt auch für den zweiten Vertreter der Familie in Europa, das Basilisken- oder Afrikanische Chamäleon. Es hat zwar nur einen einzigen Standort in Europa eingenommen, den aber besetzt es ebenfalls seit antiker Zeit.

Inzwischen sind beide Art unzweifelhaft heimisch in Europa. Wenn man lange genug aushält, wird man eben vom Zugezogenen zum Alteingesessenen. Da geht es Tieren nicht anders als Menschen, nur dass die Zugezogenen bei Tieren eben Neozoon heißen. Und letztlich haben bekanntlich auch die europäischen Menschen einst nur rübergemacht aus Afrika, waren also auch hier ursprünglich Neozoen, Neubürger, Migranten. Es wäre ganz schön, wenn in dem ganzen völkisch-nationalistischen Gezeter der jüngeren Zeit diese Wahrheit mal mit bedacht würde.

Jedenfalls will den Chamäleons heute niemand mehr ihren Platz in Europa absprechen. Was aber noch lange nicht heißt, dass ihre Zukunft auf unserem Kontinent gesichert ist. Die verhältnismäßig kleinen Vorkommen beider Arten stehen unter großem Druck. Es wäre ein Jammer, wenn wir diese Sympathieträger demnächst wieder von der Liste der europäischen Herpetofauna streichen müssten – und wenn ausgerechnet das Tier mit dem Namen Europäisches Chamäleon dann nur noch in Afrika vorkäme, wäre das ja irgendwie auch ein Treppenwitz der Geschichte, auf den wir gut verzichten können.

Die REPTILIA hat sich seit jeher für die Chamäleons in Europa engagiert. Wir haben über viele Jahre den Einsatz unseres Haus- und Hof-Fotografen Benny Trapp für Chamaeleo africanus auf der griechischen Peloponnes- Halbinsel eng begleitet und für die Unterstützung des erfolgreichen Schutzprojekts geworben, an dem er maßgeblich beteiligt war. Leider musste es letztlich aus politischen Gründen eingestellt werden – am Ende haben sich die wirtschaftlichen Interessen doch einmal mehr gegen den Artenschutz durchgesetzt. Für das Basiliskenchamäleon sieht es deshalb düster aus in seinem europäischen Exil. Bei Chamaeleo chamaelon ist die Lage noch entspannter, aber auch diese Art kämpft mit Lebensraumzerstörung und Umweltzerstörung.

Im Terrarium sind beide Arten etabliert und mit entsprechender Fachkenntnis gut zu halten und zur Nachzucht zu bringen. Wir freuen uns sehr, dass wir das Europäische Chamäleon mit einem ausführlichen Haltungs- und Nachzuchtartikel des Schweizer Chamäleonspezialisten Markus Grimm würdigen können, und dass Benny Trapp tief in seinen Festplatten gewühlt und uns einige seiner schönsten Fotos für einen kleinen Überblick mit Hinweisen zum chamäleongerechten Verhalten von Herpern in der Natur zur Verfügung gestellt hat.

Nicht minder eindrucksvoll ist der ausführliche Nachzucht-Artikel zu einer anderen besonders ikonischen afrikanischen Reptilienart, dem lange Zeit als extrem selten geltenden Angola-Python (Python anchietae). Auch er wird inzwischen von engagierten Terrarianern regelmäßig nachgezogen – der in Namibia lebende Reptilienfreund Martin Jacobs beschreibt ausführlich seine Erfahrungen mit dieser Art.

Neben diesen beiden Großbeiträgen zur erfolgreichen Nachzucht ganz besonderer Terrarientiere finden Sie natürlich wieder einen bunten Strauß unterschiedlicher Themen in dieser REPTILIA: Wie wäre es denn mit einem Spanien-Trip in der anstehenden bei uns kalten Jahreszeit? Im Süden Europas kann man auch im Winter spannende Entdeckungen machen. Viele Terrarianer betrachten Wirbellose ja vor allem als Futtertiere – der Österreicher Hans Esterbauer dreht den Spieß einfach um und berichtet über Wirbellose, die Reptilien fressen. Und unser Magazinteil beginnt mit einer weiteren „zugezogenen“ Art, die sich allerdings als höchst problematisch erweist: Der Waschbär wird zur echten Gefahr für unsere heimischen Amphibien und Reptilien, wie nun auch wissenschaftlich nachgewiesen wurde.

Viel spannender Stoff also für den Herbst – ich wünsche eine anregende Lektüre!

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