Editorial 161

26. Mai 2023

Endlich Sommer! Das wird auch die vielen freilebenden nordamerikanischen Wasserschildkröten in unseren heimischen Gewässern freuen. Mit denen ist es leider ein zweischneidiges Schwert. Lange Zeit galt es als gesichert, dass sie dort zwar viele Jahre überleben, sich aufgrund der klimatischen Gegebenheiten aber nicht vermehren können. Auch wenn viele terraristisch bedeutsame Arten aus den nördlicheren Breiten Nordamerikas und Asiens stammen, sind die Zahl der Sonnentage und die Temperaturen bei uns auf Dauer eben doch zu niedrig für eine Gesunderhaltung oder gar Nachzucht. Dementsprechend ist eine Außenhaltung nur für begrenzte Zeit in den warmen Sommermonaten oder mit entsprechender technischer Ausstattung (Wärmespots, Frühbeete etc.) möglich und daher musste in der Terraristik vor der längerfristigen Freiland- bzw. Gartenteichhaltung ohne solche Hilfsmittel gewarnt werden.

Wie real der Klimawandel ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass inzwischen jedoch tatsächlich nordamerikanische Wasserschildkröten erfolgreich bei uns reproduzieren. Eine aktuelle Studie, über die wir im Magazin-Teil berichten, beweist, dass das Ausmaß größer ist als angenommen. Aber ist das auch ein Problem? Es kommt ein bisschen darauf an. Einerseits scheint manchmal ein gewisser Arten-Nationalismus in der Diskussion Oberhand zu gewinnen, der jede „fremdländische“ Art gleich als gefährliche Bedrohung sieht. Dabei gibt es durchaus Anlass, manches gelassener zu betrachten. Die meisten neu angesiedelten Tier- und Pflanzenarten verhalten sich weitgehend unauffällig und gliedern sich relativ spurlos in die heimischen, ohnehin meist stark veränderten Ökosysteme ein. Mitunter mögen sie auch einfach frei gewordene ökologische Nischen besetzen – wo früher Europäische Sumpfschildkröten schwammen, tummeln sich nun womöglich Rotwangen-Schmuckschildkröten. Das Pro­blem ist dann aber das Verschwinden der heimischen Art, nicht das Nachrücken der Nachfolger (weil hier keine Verdrängung stattgefunden hat). Nicht jedes „fremde“ Tier ist also Grund zur Sorge.

Auf der anderen Seite werden einige Arten invasiv und richten dann erhebliche Schäden an, wirtschaftlich wie ökologisch. Auch jenseits der großen Invasionen können gebietsfremde Arten sozusagen subkutan Schäden verursachen, durch auf den ersten Blick nicht offensichtliche Beeinflussung ihres neuen Lebensraums und des Artengefüges. Auch deshalb sollten solche Entwicklungen gut beobachtet und wissenschaftlich untersucht werden.

Der Terraristik kommt bei diesem Thema eine große Verantwortung zu. Zum einen für unsere Natur, denn der Gedanke einer „Bereicherung“ der heimischen Fauna durch Aussetzen von Arten ist heute in jedem Fall strikt abzulehnen (und entsprechende Handlungen sind strafbar!). Zum anderen für das Hobby selbst, denn die Neozoen-Diskussion hat sich in den letzten Jahren zunehmend zur Allzweckwaffe von Tierhaltungsgegnern entwickelt, die einen Hebel darin sehen, die Haltung exotischer Tiere gleich ganz zu verbieten. Da ist leider jede Schildkröte im Stadtteich Wasser auf deren Mühlen. Deshalb haben wir den Magazin-Teil dieser REPTILIA zu einem kleinen Special rund um die Schildkröten-Zuzügler gestaltet – mehr Sensibilität für das Thema wäre in jedem Fall wünschenswert, und der eine oder die andere ist sicherlich auch etwas ratlos, was eigentlich zu tun ist, wenn einem am heimischen Weiher plötzlich nordamerikanische Panzerträger begegnen.

Darüber hinaus präsentieren wir wieder eine bunte Themen-Mischung: Unser Titelthema widmet sich den Panzerechsen – 28 Jahre, nachdem sie schon die Titelhelden in REPTILIA Nr. 1 waren. Wohl jeder Reptilienfreund ist fasziniert von den Urtieren und nutzt die Gelegenheit bei Fernreisen und Zoobesuchen, sie zu bewundern. Erstaunlich zudem, über welche „Gadgets“ diese Tiere verfügen – Tobias Machts gibt einen kleinen Einblick in die aktuelle Forschung. Trotz gegenteiliger Propaganda gilt auch hier, dass die private Haltung durchaus selbst nach heutigen Gesichtspunkten erfolgreich und tiergerecht möglich ist, wie der Bericht von Sebastian Scholz über den Brauen-Glattstirnkaiman zeigt.

Dazu locken wir Sie jetzt im Sommer vor die Haustür, denn auch dort gibt es manche herpetologische Besonderheit zu entdecken, etwa die schwarzen Eidechsen vom Kaiserstuhl, die Werner und Yvonne Lantermann vorstellen. Leo Spinner präsentiert dagegen mit dem Stirnlappenbasilisken einen echten Klassiker der Terraristik, der in den letzten Jahren leider etwas aus dem Fokus verschwunden ist. Sascha Pawlowski stellt Ihnen die Frösche des Urlaubsparadieses Seychellen vor, und Ole Dost nimmt sie schließlich mit auf Schlangensuche in die Regenwälder Costa Ricas.

Ob Sie den Sommer nun aber auf Exkursion in den Herkunftsgebieten exotischer Arten verbringen, bei Streifzügen in der heimischen Natur oder ihn einfach auf dem Balkon oder im Stadtpark genießen, wir wünschen in jedem Fall eine gute Zeit – und viel Freude mit der Lektüre dieser REPTILIA!

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