Editorial 157

30. September 2022

Also, so richtig wissen unsere Gegner aber auch nicht, was sie wollen. Da werden sie einerseits nicht müde zu erklären, dass Amphibien und Reptilien als Wildtiere sowieso nicht artgerecht gehalten und schon gar nicht gezüchtet werden können, während andererseits offenbar aber genau diese nicht halt- und züchtbaren Tiere, kaum dass sie europäischen Boden betreten, zu hochgefährlichen Invasoren werden, die sich in Massen vermehren und alles unter sich begraben. Anders ist die Anfang August in Kraft getretene Listung aller Kettennattern des Lampropeltis-getula-Artkomplexes kaum zu erklären.

Nun ist das Problem invasiver Arten zweifellos ernst. Wenn einige Faktoren zusammenkommen, können gebietsfremde Arten, die sich unkon­trolliert vermehren, immense Schäden an der heimischen Natur anrichten. Das beste Beispiel dafür sind – tja, Katzen. Ich kann ja auch nichts dafür. Seltsamerweise aber landen die nicht auf der Unionsliste, sondern eben jetzt Kettennattern.

Die Schäden, die die Kalifornische Kettennatter (L. californiae) auf Gran Canaria anrichtet, sind ohne Zweifel dramatisch. Allerdings kommen da doch einige Faktoren zusammen, die kaum auf das europäische Festland zu übertragen sind. Das Klima ist das eine, da gibt es sicherlich auch andere Regionen in Europa, mit denen die Art klarkäme. Für die Invasion auf Gran Canaria dürfte aber auch das Fehlen relevanter Beutegreifer und konkurrierender anderer Schlangenarten stark ausschlaggebend gewesen sein – ein Inselphänomen eben. So, wie für eine Insel typisch auch die hauptbetroffenen Rieseneidechsen ihre relative Sorglosigkeit entwickelt haben, die ihnen angesichts des neuen Prädators nun zum Verhängnis wird. Inwieweit das auf das Festland übertragbar ist, selbst bei adäquaten Klimabedingungen, ist doch ziemlich fraglich. Erst recht gilt das für die anderen betroffenen Kettennatterarten, die zudem teils gänzlich andere klimatische Anforderungen haben. Und die, würden sie sich auf europäischem Festland blicken lassen, nicht nur mit einer ganzen Reihe konkurrierender Schlangenarten zu kämpfen hätten, sondern auch mit einer ganzen Reihe von effektiven Prädatoren.

Jedenfalls dürfte es kein Zufall sein, dass noch nirgendwo in Kontinentaleuropa Meldungen bekannt wurden, dass Kettennattern sich dort erfolgreich angesiedelt hätten – obwohl es sich um seit Jahrzehnten sehr beliebte, zu Zehntausenden gehaltene Terrarientiere handelt.

Aber nun ist es, wie es ist. Die Erweiterung der Unionsliste um Kettennatter und den Krallenfrosch Xenopus laevis (der allerdings für größere Teile Europas invasives Potenzial hat – und das auch schon unter Beweis stellen konnte) ist zunächst einmal gültig. Ob sie einer rechtlichen Prüfung wirklich standhalten würde, wird zumindest von unserem Autor Thorsten Schmidt bezweifelt, dessen hochaktueller Beitrag diesmal den deshalb auch in Überlänge erscheinenden Magazin-Teil dieses Heftes bestreitet. Wie auch immer man dazu steht: Klar ist, dass die neue Regelung zunächst einmal gültig für alle Terrarianer ist. Betroffene müssten dagegen den Klageweg anstrengen – sicherlich kein leichtes Unterfangen. Es sieht also ganz danach aus, als würde eine beliebte, hervorragend zur Haltung geeignete Schlangengruppe tatsächlich aus unseren Terrarien verschwinden. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, dass die Terraristik in der Öffentlichkeit Präsenz zeigt und ihre Verbände möglichst stärkt. In diesem Fall haben DGHT, BNA und VDA zuvor gemeinsam versucht, das Unheil abzuwenden – leider vergeblich. Aber ohne solche politische Interessenvertretung und wissenschaftliche Unterstützung sähe es wohl sehr rasch noch viel schlimmer aus. Wie schnell das gehen kann, haben wir jetzt ja gerade wieder erlebt.

Während, auf der anderen Seite, im Titelthema dieser REPTILIA einmal mehr gezeigt wird, welche positive Kraft die private Terraristik entfalten kann. Unser Autor Jürgen Schmidt jedenfalls hat den vom Aussterben bedrohten Antillen-Leguan so erfolgreich nachgezüchtet, dass er mit den Nachkommen seiner Tiere sogar Zoos und Artenschutzprojekte beliefert, in der Hoffnung, dass diese imposante Art doch noch gerettet werden kann. Bedroht ist sie übrigens besonders durch, genau, invasive Arten.

Reichlich Lese- und Diskussionsstoff also – viel Spaß damit!

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