Editorial 156

29. Juli 2022

Und täglich grüßt das Murmeltier. Beziehungsweise: Und jährlich grüßt der Tiger. Vom Sofa nämlich. „EU will Tiger vom Sofa verbannen“, titelte die „ÄrzteZeitung“ auf bestem „Bild“-Niveau Ende Mai, der „Merkur“ setzte noch die Krokodile hinzu: „Mehrere europäische Länder wollen EU-Verbot für Tiger und Krokodile als Haustiere“.  Und zwar wie? Fragen wir doch erneut die Ärzte: „Eine Positivliste soll künftig Viecher nennen, die gehalten werden dürfen. Das soll auch dem Gesundheitsschutz dienen.“ Viecher? Echt jetzt? Zu Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Oder doch besser die Fachleute, die ein ums andere Mal die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn das Thema Positivlisten seit rund vierzig Jahren so zuverlässig wie die Diskussion über Lebkuchen in den Supermarktregalen Ende August, die Zeitumstellung oder die angebliche Umbenennung von Weihnachts- in Wintermärkte aufploppt. Natürlich schwappte die Empörung in der Terraristikszene hoch, auch weil Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir den Vorstoße der EU-Länder Zypern, Luxemburg, Litauen und Malta unterstützte.

Nun ist wirklich so gut wie alles falsch sowohl an dem Antrag als auch an der Stellungnahme von Özdemir dazu. Wir haben es in der REPTILIA schon oft thematisiert, dennoch hier noch einmal in Kurzform:

  • Positivlisten helfen nicht, Tierschutzprobleme einzuhegen, denn diese tauchen vermehrt bei häufig gehaltenen und breit gehandelten Arten auf, nicht bei weniger bekannten, seltenen Spezies. Genau die häufig gehaltenen Arten aber stünden auf der Positivliste. Abgesehen davon, dass Tierschutzprobleme wohl besonders drängend bei Hund, Katze, Hamster und Meerschweinchen auftreten (und noch viel drängender bei Nutztieren), dürfte es auch im Bereich Terraristik genau umgekehrt sein: Probleme machen am ehesten Bartagame, Griechische Landschildkröte und Schmuckschildkröte, also genau die Arten, die zweifellos auch auf der Positivliste landen würden. Während die tierschutzrelevanten Schwierigkeiten bei Blauem Baumwaran, Strahlenschildkröte oder Woma-Python doch ziemlich überschaubar sein dürften.
  • Ja, auch der Wildtierhandel für den Heimtiermarkt kann Artenschutzprobleme verursachen. Diese sind im Vergleich zu allen anderen wichtigen Gefährdungsursachen aber nachrangig und können vor allem sehr zielgenau mit den bestehenden CITES-Regularien in den Griff bekommen werden.
  • Das zoonotische Potenzial von Haustieren ist unbestritten, Risikofaktor Nummer eins sind hier aber Haushuhn, Schwein und die notorischen Toxoplasmoseträger Katzen. Eine erhöhte zoonotische Gefahr von nicht auf einer Positivliste stehenden Amphibien oder Reptilien gegenüber solchen Arten dieser Tiergruppen, die auf der Liste stünden, ist sehr unwahrscheinlich.
  • Die wichtige Rolle, die die private Wildtierhaltung für Wissenschaft und Artenschutz spielt, würde durch Positivlisten weitgehend zerstört. Denn die Beiträge zum Arterhalt und zur Kenntnis von eben kaum bekannten Arten, die gerade bei Amphibien und Reptilien oft von privaten Haltern herrührt, würden damit zukünftig sicher unterbunden, da stark gefährdete oder wenig bekannte Arten natürlich nicht auf einer Positivliste landen würden.

Trotz dieser klaren Befunde ist es falsch, nun wieder politische Gräben zu vertiefen. Solche kenntnisarmen Angriffe auf die Heimtierhaltung sind eben kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen. Erinnert sei nur an die haarsträubenden Gefahrtiergesetze in Hessen und NRW, die unter CDU-Regierungen verabschiedet wurden. Es ist einfach grundsätzlich wichtig, das Gespräch zu suchen, auf begründete Kritik einzugehen und ansonsten die eigenen, möglichst gut untermauerten Positionen zu vertreten. Und nicht zuletzt auch durch seine Handlungen zu überzeugen. Die vielen Artikel über Zuchterfolge in der REPTILIA oder Initiativen wie Citizen Conservation sind zweifellos die besseren Argumente für das Hobby Terraristik als das Pöbeln gegen einzelne Parteien.

Auch deshalb habe ich in diesem Frühjahr und Frühsommer gerne die Gelegenheit genutzt, an zwei Parlamentarischen Abenden zum Thema Wildtierhaltung in Berlin teilzunehmen. Der eine war organisiert vom Verband der Zoologischen Gärten (VdZ), der andere vom kanarisch-deutschen Zoo Loro Parque. Beide Veranstaltungen boten die Gelegenheit, mit verschiedenen Vertretern aus Politik, Verbänden und Behörden ins Gespräch zu kommen. In solchen Gesprächen merkt man dann oft, dass auf der anderen Seite meist keine ideologischen Panzer stehen, sondern Menschen, die man mit guten Argumenten und Taten durchaus beeindrucken kann.

Was übrigens die Initiative zu den Positivlisten angeht: Hier herrschte bei den verschiedenen Insidern weitgehend Konsens, dass die in dieser Form sicherlich keine Chance hat. Das heißt nicht, dass man das Thema nicht ernst nehmen sollte. Wir müssen, insbesondere natürlich vertreten durch unsere Verbände wie DGHT und VDA, aber auch zum Beispiel durch persönliche Gespräche mit den lokalen Bundestagsabgeordneten oder anderen Entscheidungsträgern, stets an unseren Themen dranbleiben und entsprechende Aufklärungsarbeit leisten. Aber es ist wohl doch zu hoffen, dass das Thema Positivliste wie in den vier Jahrzehnten zuvor auch wieder rasch in der Versenkung verschwindet, um dann zuverlässig beizeiten wieder daraus hervorgezerrt zu werden. Wenn mal wieder jemand die Tiger vom Sofa vertreiben will.

Bis dahin wünscht anregende Lektüre mit Ihrer REPTILIA:

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