Viele Tiere – und auch wir Menschen – haben zwei gleich große Augen. Größere Augen sind oft empfindlicher und besser in der Lage, feine Details zu erkennen. Viele Arten werden mit überproportional großen Augen geboren, um dieses detaillierte Sehen von klein auf zu ermöglichen. Dies geht jedoch mit einem höheren Energieaufwand einher, sodass das Verhältnis zwischen Augengröße und Körpergröße insgesamt sorgfältig ausbalanciert werden muss; und zwar sowohl während der Lebenszeit eines Individuums als auch während der Evolution einer Art.
Wir wissen, dass die Augen im Allgemeinen bei Arten größer sind, die sich stärker auf ihr Sehvermögen verlassen, um zu jagen, zu kommunizieren und Raubtiere aufzuspüren. Insbesondere ist das bei Arten der Fall, die dies in der Dunkelheit tun. Aber was passiert, wenn ein Individuum mehr als ein Augenpaar hat und diese Augen unterschiedlich groß sind? Eine neue Studie (Chong et al. 2024), die von Forschenden des Museums für Naturkunde Berlin mitgeleitet wurde, hat diese Frage zum ersten Mal bei Spinnen untersucht.
Die meisten Spinnen haben vier Augenpaare, die sich in ihrer Größe und ihren Fähigkeiten erheblich unterscheiden können: von sehr einfachem Erkennen von Licht und Dunkelheit bis hin zu hochauflösendem Farbsehen. Diese Merkmale wurden in der Vergangenheit verwendet, um verschiedene Spinnenfamilien zu identifizieren, aber ihre Verwandtschaft und Evolutionsgeschichte wurden bisher nicht im Detail untersucht.
Die Forschenden versuchten zunächst zu entschlüsseln, wie das Wachstum der verschiedenen Augenpaare bestimmt wird. Dazu vermaßen sie die Augen und Körper von mehr als 1.000 Spinnen aus den Sammlungen des Naturkundemuseums in Oxford. Arten, die ihr Sehvermögen zur Jagd einsetzen, haben in der Regel schon früh im Leben größere Augen. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass verschiedene Augenpaare innerhalb dieser Arten unterschiedlich schnell wachsen können. Augen, die zur Jagd, zur Kommunikation und zu anderen wichtigen Verhaltensweisen beitragen, waren nicht nur größer als Augen, die dies nicht taten, sondern schienen auch in Bezug auf ihre Größe und ihr Wachstum stärker kontrolliert zu werden.
„Die Fähigkeit, das Wachstum bestimmter Augenpaare zu kontrollieren und anzupassen, birgt ein großes evolutionäres Potenzial“, erklärte Dr. Lauren Sumner-Rooney, Letzt-Autorin und Gruppenleiterin des MultiplEye Labs am Museum für Naturkunde Berlin. „Arten, die ein qualitativ hochwertiges Sehvermögen benötigen, können in ein oder zwei Augenpaare investieren, ohne dass sie für die anderen Augen zu viel Energie ausgeben müssen“. Diese Entdeckung veranlasste die Forschenden, genauer zu untersuchen, wie sich die verschiedenen Augenpaare bei Spinnen über 400 Millionen Jahre hinweg entwickelt haben.
Sie fanden heraus, dass dieser modulare Ansatz für das Sehsystem im Laufe der Zeit von vielen Spinnengruppen genutzt wurde, wobei mehrere ökologische Faktoren eine Rolle spielten. Visuelle Jäger haben im Allgemeinen größere und variablere Augen, Netzbauer eine einheitlichere Augengröße, und die untere Grenze für die Augengröße ist bei nachtaktiven Arten größer. Tiere, die ihre Beute mithilfe des Sehvermögens aktiv verfolgten, wiesen ebenfalls eher große Augen auf als solche, die sie aus einem Versteck heraus erbeuteten. Das deutet darauf hin, dass die Verfolgung eine visuell anspruchsvollere, aber energetisch lohnende Aufgabe ist.
Die Studie ist die erste, die sich auf diese Weise mit der Evolution eines modularen Sehsystems befasst. Sie könnte auch Auswirkungen auf andere Tiere mit vielen Augen haben, darunter Insekten, Weichtiere und Würmer. Kaylin Chong, Hauptautorin der Studie, erklärte: „Da sich viele frühere Forschungsarbeiten auf Tiere mit einem einzigen Augenpaar konzentrierten, wollten wir eine neue vergleichende Perspektive bieten, indem wir die Welt durch die vielen Augen einer Spinne untersuchten. Dies ermöglicht neue Einblicke in die allometrischen Beziehungen in und zwischen diesen modularen visuellen Systemen.”
Literatur
Chong, K.L., A. Grahn, C.D. Perl & L. Sumner-Rooney (2024): Allometry and ecology shape eye size evolution in spiders. – Current Biology 34(14): 3178–3188.
Gesine Steiner,
Museum für Naturkunde Berlin